Als ich 2001 erstmals die Gelegenheit bekam, selbst Pferde zu halten, war es mein erklärtes Ziel, diese so artgerecht und naturnah wie möglich zu halten. Ich selbst war – wie wohl die meisten von uns – aus einer „normalen" Reitschule gekommen, wo die Pferde immer in Boxen, die Schulpferde sogar noch im Ständer gehalten wurden.
Schon während meines Biologiestudiums mit Hauptfach Verhaltensforschung und auch später immer wieder hatte ich mich jedoch mit dem Lebewesen Pferd beschäftigt, und es war naheliegend, dass diese Haltung für das sozial stark engagierte Herden- und Lauftier mindestens so schlimm sein musste, wie eine Einzelhaft für uns. Körperliche und seelische Störungen können hier nicht ausbleiben.
Mens sana in corpore sano -
Damals begann ich, die ersten 3 eigenen und einige eingestellte Pferde auf unseren 17 ha (170.000 qm) Wiesen möglichst naturnah zu halten: Im Sommer ganztägig draußen, im Winter nachts in der Box oder im Offenstall, tagsüber ebenfalls möglichst im Freien.Aber nicht nur bei den Einstellern, auch bei mir selbst waren Zweifel da: wird es den Pferden nicht zu warm, zu kalt, zu nass, zu trocken, zu viele Insekten etc.? Bei Kühen z.B. ist es ja für uns ganz normal, diese im Sommer durchgehend draußen zu sehen, obwohl diese wesentlich mehr auf Milchleistung hochgezüchtet sind als das Pferd, bei dem immerhin Fitness und Leistung wichtige Zuchtfaktoren sind. Aber viele Reiter und auch ich waren es einfach gewöhnt, Pferde in Boxen stehen zu sehen. Ich stellte mir vor, ich würde meine Kinder nicht ins Freie lassen, wenn die Gefahr des Mückenstiches besteht, diese nass werden könnten, es über 25 Grad Temperatur hat oder es vielleicht im Winter kalt ist. Ob diese dann wohl – immer im optimal temperierten Zimmer – gesund heranwachsen? Für unsere Kinder sind wir alle sicher, dass eine gewisse Abhärtung, Bewegung, das richtige soziale Umfeld, gesunde Ernährung und geistige Anregungen wichtig sind – suboptimale Reize regen Körper und Geist zu höherer Leistung an. Warum dann nicht auch für Pferde...
Ich hielt mich an die Fakten:
die Komforttemperatur für Pferde beträgt 8 Grad Celsius; der gesamte Temperaturbereich reicht von –20° bis +40° bei großer Anpassungsfähigkeit
Pferde bewegen sich bei genügend großen Weiden 30 km/Tag
Pferde fressen ca. 16 Stunden am Tag in kleinen Mengen, von Natur aus vorwiegend Steppengräser
Pferde sind sehr soziale Herdenherdentiere.
Die Folge davon war:
Unsere Koppeln wurden wenig gedüngt, sodass sich hier - auf 850m Höhe - langsam wieder Magerwiesen ausbildeten, auf denen genügend Kräuter und auch trockene und holzige Stängel zu finden sind, um sowohl dem Mineralhaushalt der Pferde als auch dem Darmtrakt durch genügend Rohfaser und Ballaststoffe gerecht zu werden. Jedes Jahr wurden hier auch Bodenproben analysiert, um evtl. Mängel sofort abzustellen und auch Blutproben bei unseren Leistungspferden analysiert.
Wenn die Pferde bei Tag und Nacht draußen sind, besteht nicht der Drang, schnell möglichst viel zu fressen, da immer Futter vorhanden ist. Nach einer Eingewöhnungszeit fanden die Pferde den natürlichen Rhythmus von fressen, wandern, spielen und schlafen. Wer einmal eine ganze Herde hat zusammen spielen sehen oder völlig entspannt im Liegen schlafen, weiß, wovon ich spreche.
Durch die Robusthaltung und die staub- und ammoniakfreie Luft blieben die Pferde von Krankheiten verschont.
Die Ställe wurden mit Stroh und Spänen und nicht zu hoch eingestreut, um täglich misten zu können und Ammoniakdämpfe möglichst zu vermeiden.
Als Kraftfutter fütterten wir nur noch naturbelassenen Hafer und Marstall Müsli.
Die Pferde wurden möglichst im Herdenverband gehalten, um den sozialen Umgang zu üben und zu pflegen. Auch unsere Hengste wurden in der Herde gehalten, dadurch waren sie ausgeglichen und zufrieden.
Der Erfolg gab uns recht! Nach nur 2 Jahren, als Janina erstmals mit ihrer Araberstute Karina an einem Distanzritt teilgenommen hatte, wurde sie deutsche Vizemeisterin. Dem Pferd wurde die beste Kondition und Fitness bescheinigt und sie wurde zur Europameisterschaft qualifiziert.
Der Tierarzt kam bisher ausschließlich zum Impfen. Mehrere Pferde, welche mit chronischem Husten, Bronchitis und Allergien zu uns kamen sind jetzt gesund. 2011 sind wir mit 4 Pferden zur Deutschen Meisterschaft nach Göttingen/Hardenberg gefahren und haben sehr erfolgreich abgeschnitten: 3x 1. Platz, 1x 2. Platz & Best Condition für Estopal. Dabei sind mehr als die Hälfte der Teilnehmer in den Ritten über 120km und 160km ausgeschieden.
Estopal Estopa wurde 2011 Deutscher Meister und 2012 Deutscher Vizemeister.
Der wichtigste Faktor: Zeit! Wenn sich ein Pferde aus einer „üblichen“ Haltung (mit Box und ab und zu Koppelgang) eingewöhnen soll, braucht es Zeit: Im ersten Monat werden der Stress durch die neuen Kollegen und das wesentliche Mehr an Bewegung meistens ein gewisses Abnehmen zur Folge haben. Das Pferd fängt meistens am unteren Ende der Rangordnung an und arbeitet sich erst langsam hoch. Statt maximal 10-20 km/Tag (Reiten und Koppelgang) wird es sich mindestens 30 km bewegen. Es wird anfangs im Freien gierig fressen, da es ja gewöhnt ist, dass es in Kürze aufhören muss und wieder in den Stall geht, deshalb wird es auf einer Weide, die schon ziemlich abgefressen ist, untergebracht.
Dies gibt sich nach einigen Monaten in Abhängigkeit von der Rasse mehr oder weniger. Die Pferde werden dann in leicht- oder schwerfuttrige Pferde in Weidegruppen aufgeteilt. (Achtung! Es gibt viel mehr zu dicke als zu dünne Pferde! Im Zweifel Beratung von kompetenter Stelle z. B. Tierarzt einholen!) Es gibt Pferde, die Bremsen- und Mückenstiche noch schlecht vertragen, diese werden deshalb zeitweise in den Stall geholt. Auch Sonnenbrand an den weißen Stellen mit rosa Haut und dadurch bedingter Mauke kann auftreten (Sonnencreme wie beim Menschen hilft). Das Pferd muss auch erst lernen, dass man bei Sonne im Schatten besser und angenehmer steht! Das Sommer- und Winterfell muss sich an den Rhythmus gewöhnen.
Erst nach einigen Monaten, bei reinen Boxenpferden nach bis zu einem Jahr, ist die komplette seelische und körperliche Anpassung abgeschlossen! Fast noch mehr Zeit braucht der Pferdebesitzer. ,Er muss vieles was er bisher gesehen und gehört, hat über Bord werfen! Im Zweifelsfall sollte er immer sein Pferd anschauen (am besten Fotos vorher - nachher). Sieht das Pferd nach einigen Monaten besser aus als vorher? Ist es ausgeglichener und besser im Umgang? Glänzt das Fell? Werden die Hufe besser? Sinken die Tierarztkosten?
Wenn man einen Teil dieser Fragen mit ja beantworten kann, so ist man sicher auf dem richtigen Weg. Wenn man dann noch sein Pferd als eigenständige Persönlichkeit begreift und nicht nur als „Objekt“ (sei es als Sport-, Streichel-, Pflege-, Prestigeobjekt), dann steht einer lang andauernden Partnerschaft nichts im Wege.